Aktuelle Meldungen
27.03.2024
Neue Vogelwelt mit Artikeln zu Grauammer und Trauerseeschwalbe aus NRW
Die Zeitschrift „Die Vogelwelt – Beiträge zur Vogelkunde“ ist die deutschsprachige bundesweite Zeitschrift für Avifaunistik und Vogelschutz. Sie wird vom Dachverband Deutscher Avifaunisten und vom Aula-Verlag herausgegeben. Im aktuellen Heft geht es auch um Grauammern und Trauerseeschwalben in NRW
Das Cover des aktuellen vierten Heftes des bereits 141. Jahrgangs(!) ziert eine Trauerseeschwalbe. Insgesamt widmen sich drei Beiträge diesen eleganten Vögeln. Ein Artikel vergleicht die Überlebensraten erwachsener Brutvögel aus den Niederlanden, Deutschland und der Ukraine. Aus Deutschland flossen auch Daten von der Kolonie am Bienener Altrhein ein. Einer der Autor:innen ist Achim Vossmeyer vom NZ Kleve. Die beiden anderen Trauerseeschwalben-Artikel beschäftigen sich mit Kolonien im Osten Deutschlands, sind aber natürlich nicht minder von Interesse. So zeigt Jochen Bellebaum die hohe Bedeutung von Insekten als Nahrung für Küken auf, was vor dem Hintergrund des Insektensterbens natürlich auch Naturschutzimplikationen hat. Ein Artikel widmet sich dagegen der Mortalität adulter Wespenbussarde auf dem Zug, die anhand von Satellitentelemetrie untersucht wurde. Der erste Artikel des Heftes ist aus NRW. Sandra Neißkenwirth et al. (Co-Autoren u.a. von der ABU Soest) analysieren Bestandszunahme, Revierverhalten und Habitatwahl der Grauammer im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde. Sie unterstreichen in ihrer Diskussion die Bedeutung selbstbegrünender Brachen.
Auch das Editorial des Heftes ist lesenswert. Hier macht Martin Flade darauf aufmerksam, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium kürzlich die Verpflichtung für Landwirt:innen abgeschafft hat, 4 % der Ackerfläche als Brache anzulegen. Er schlussfolgert: „Die Zahlen sind da, die Fakten liegen auf dem Tisch, die politischen Entscheidungen werden aber nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern durch lautstarken Lobbyismus getrieben".
Am Ende des Heftes gibt es noch die Rubrik DDA-Aktuell mit neuesten Nachrichten unseres Dachverbandes. Für NWO-Mitglieder ist das Abonnement der Vogelwelt ermäßigt.
20.03.2024
Weltspatzentag 2024
Heute ist Weltspatzentag. Auch in Nordrhein-Westfalen leben zwei Sperlingsarten. Der bekannte Haussperling, der oft einfach als Spatz bezeichnet wird, und der weniger bekannte Feldsperling.
Spatzen stehen wie kaum eine andere Vogelgruppe für die Artenvielfalt im Siedlungsbereich. Haussperlinge sind als Kommensalen des Menschen eigentlich aus unserer Umgebung nicht mehr wegzudenken. Wahrscheinlich breitete sich die Art in Europa in den vergangenen Jahrtausenden seit der neolithischen Revolution mit der Ausbreitung der Landwirtschaft aus. Der Ursprung ihrer Verbreitung hat demnach wahrscheinlich irgendwo im Bereich des fruchtbaren Halbmondes oder seiner Umgebung gelegen. Haussperlinge entwickelten im Laufe der Zeit erstaunliche Anpassungen. Sie brüten heute vielfach an menschlichen Behausungen und in Mitteleuropa findet man höchstens nur noch vereinzelt frei hängende Nester in Bäumen. Die Anpassungen an den Menschen gehen aber noch sehr viel weiter. Aktuelle Studien zeigen auch physiologische bzw. genetische Anpassungen an den Kommensalismus mit dem Menschen (Ravinet et al 2018, PRSLB). Die Ausbreitung der Art hat mittlerweile auch andere Kontinente erreicht. Dort treten Haussperlinge als invasive Art allerdings in Konkurrenz mit heimischen Arten. In Europa gehören Haussperlinge leider zu den Arten, deren Bestände langfristig extrem stark abgenommen haben. Insgesamt sind es Millionen Vögel weniger als noch vor einigen Jahrzehnten.
Die zweite Art, der Feldsperling, war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein - kurz hinter dem Haussperling - vielerorts die zweithäufigste Art des Siedlungsraumes. Mittlerweile sind Feldsperlinge aus vielen Städten und Dörfern in NRW verschwunden die landesweiten Bestände befinden sich leider im freien Fall. Feldsperlinge sind etwas kleiner als Haussperlinge. Die Geschlechter sind anders als beim Haussperling gleich gefärbt und die braune Kopfplatte mit dem schwarzen Wangenfleck ist kennzeichnend. Feldsperlinge leben gerne in den ebenfalls selten gewordenen Streuobstwiesen. Als Höhlenbrüter nisten sie zwar auch an Gebäuden und in menschlichen Strukturen, nehmen aber auch häufig natürliche Baumhöhlen und lassen sich sogar mit Nistkästen unterstützten.
18.03.2023
Rückblick auf die Mitgliederversammlung und Jahrestagung 2024
Am gestrigen Sonntag, den 18.03.2023 fand unsere Mitgliederversammlung und Jahrestagung statt. Es gab ein vielfältiges Programm, spannende Vorträge und leckeres Essen.
Insgesamt fanden sich rund 70 Ornis zum diesjährigen Höhepunkt des NWO-Jahres in der Natur- und Umweltakademie (NUA) in Recklinghausen ein. Der Vormittag stand ganz im Zeichen der Mitgliederversammlung. Details werden wie gewohnt in einem Protokoll in unseren NWO-Mitteilungen nachzulesen sein. Wir freuen uns sehr, dass Dr. Bruno Walther in den Beirat gewählt wurde. Selbstverständlich gab es Berichte aus dem Vorstand sowie aus der Redaktion des Charadrius, der seit diesem Jahr in neuem Gewand erscheint. Auch ein Überblick über die Finanzlage gehört natürlich zu einer ordentlichen Mitgliederversammlung. Den diesjährigen NWO-Preis erhielt Hubertus Illner für seine Verdienste um die nordrhein-westfälische Ornithologie, insbesondere seine jahrzehntelangen Einsatz für den Schutz von Wiesenweihe und Rohrweihe in der Hellwegbörde. Die Laudatio hielt Henning Vierhaus. Der Förderpreis der NWO ging an Gianna Allera für ihre Bachelorarbeit über Mehlschwalben.
Nach der ersten Kaffeepause ging es dann in das inhaltliche Programm. Peter Herkenrath berichtete aus der Vogelschutzwarte. So steht dieses Jahr beispielsweise ein neuer Vogelschutzbericht an. Dr. Christoph Sudfeldt (DDA) und Jonas Brüggeshemke stellten das neue bundesweite Atlasprojekt ADEBAR 2 vor. Schon traditionell ist das Vogelquiz vor der Mittagspause, das in hervorragender Art und Weise von Michael Schmitz organisiert wurde. Es gab Gelegenheit, die eigenen Kenntnisse über die Vogelbestimmung anhand von Fotos und Tonaufnahmen zu verbessern, sich zu ärgern, weil der erste Eindruck richtiger als der zweite war und zu jubeln, dass man eine Art doch erkannt hat. Am Ende standen drei Sieger fest: Daniel Duff und Jonas Brüggeshemke sowie Jörn Tupay hatten die meisten Arten richtig erkannt und freuten sich über schöne Buchpreise. Danach konnten sich alle Teilnehmenden bei leckeren Suppen stärken und auf dem Flur und im Garten bei Fachgesprächen austauschen.
Das Nachmittagsprogramm begann mit einem Vortrag von Franco Cassese über die Errichtung eines Spatzenturmes in Hagen, ein schönes Beispiel für Artenschutz im Siedlungsraum. Jörg Hadasch, Carl-Henning Loske und Klaus Nottmeyer stellten ihr Projekt zur Saatkrähenberingung in Westfalen vor und gaben spannende Einblicke in die Ökologie dieser Art, die leider manchmal Gegenstand von Mensch-Tier-Konflikten ist. Jonas Brüggeshemke präsentierte das Austernfischer-Projekt der Universität Osnabrück und ging dabei vor allem auf die Brut- und Nahrungsökologie dieser Art im urbanen Raum am Beispiel der Stadt Münster ein. Nach Kaffee, Kuchen und Tagungsphoto berichtete die AviKom (Daniel Hubatsch und Tobias Rautenberg) mit tollen Fotos über erstaunliche Seltenheiten, die im Jahr 2023 in NRW beobachtet wurden. Mit der Dünnschnabelmöwe gab es 2023 einen Erstnachweis für NRW. Den Abschlussvortrag hielt Dr. Peter Prokosch, der uns mitnahm, die ostatlantische Vogelzugroute zu erkunden. Er wusste von jahrzehntelanger Forschung zwischen Sibirien, dem Wattenmeer und Westafrika zu berichten.
Wir bedanken uns bei allen Referent:innen, allen Teilnehmenden und allen an der Organisation Beteiligten für die rundum gelungene Tagung!
Weitere Fotos der Veranstaltung gibt es übrigens auf unserer Facebook-Seite.
18.03.2024
Nutzung von Borkenkäferflächen im Nationalpark Eifel durch den Baumpieper
Baumpieper sind eine gefährdete Vogelart, die häufig Ökotone wie den Übergang vom Wald zum Offenland besiedelt. Henrike Raabe, Katja Heubel und Sönke Twietmeyer haben untersucht, ob Borkenkäferflächen im bisher einzigen Nationalpark von NRW in der Eifel von diesen Singvögeln angenommen werden.
Die Siedlungsdichte der Baumpieper betrug auf den Entnahmeflächen 1,18 Reviere/10 ha und auf den Käferflächen ohne Entnahme 0,4 Reviere/10 ha. Entnahmeflächen, auf denen eine aktive flächendeckende Holzentnahme stattgefunden hatte, wurden signifikant häufiger als Brutreviere angenommen im Gegensatz zu Käferflächen, welche lediglich durch einen natürlichen Zerfall der Nadelbäume gekennzeichnet waren. Die Chance für das Auffinden eines Reviers auf den Entnahmeflächen sank mit fortschreitender Sukzession. Folglich profitierte der Baumpieper vor allem bei geringer Sukzession der Vegetation von den Entnahmeflächen. Dieser positive Effekt kann durch das Unterlassen einer aktiven Aufforstung verstärkt werden, sodass junge Sukzessionsstadien länger Bestand haben und somit einen geeigneten Lebensraum darstellen. Das Belassen einzelner toter Bäume auf den kahlgeschlagenen Flächen führt zu einer weiteren Aufwertung der Flächen für den Baumpieper. Diese werden als Singwarten und Ausgangspunkte für ihren charakteristischen Singflug genutzt. Die erfassten unbehandelten Käferflächen befanden sich noch in einem jungen Stadium des Zerfalls, so dass die Flächen überwiegend von stehendem Totholz und nur wenig freien Bodenflächen geprägt waren. Vermutlich aus diesem Grund wurden diese Flächen nur geringfügig angenommen, lediglich in Verbindung mit angrenzenden Offenlandstrukturen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Siedlungsdichte der Baumpieper auf diesen Flächen mit fortschreitendem Zerfall entwickeln wird.
Publikation:
Raabe H, Heubel K & Twietmeyer S 2024. Untersuchung zur Annahme von Borkenkäferflächen im Nationalpark Eifel durch den BaumpieperAnthus trivialis. Charadrius 60: 51–59.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
11.03.2024
Rastvorkommen und Habitatwahl des Mornellregenpfeifers in der Hellwegbörde
Mornellregenpfeifer stehen bei vielen Birdern jeden Spätsommer ganz oben auf der Beobachtungs-Wunschliste. Moritz Meinken, Wieland Heim und Ralf Joest haben die Lebensraumansprüche, Vorkommen und mögliche Gefährdungen im Jahr 2020 im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde genauer untersucht.
Die Autoren fassen ihre Analyse so zusammen: Im Spätsommer 2020 wurden im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde (Kreis Soest, NRW) sieben Rastgebiete des Mornellregenpfeifers standardisiert nach der Art abgesucht. Mornellregenpfeifer wurden zwischen dem 15.08. und 03.09. mit insgesamt 102 Ind. und einem Jungvogelanteil von 41,3 % gefunden. Außerhalb der regelmäßigen Kontrollen wurden weitere 48 Ind. festgestellt. Unter Einbeziehung der Beobachtungen Dritter aus dem Portal ornitho.de betrug die Summe der Tagesmaxima 369. Die meisten Individuen rasteten in der Kahlen Mark bei Erwitte, wo das Rastvorkommen zwischen dem 27. und 31.08. sein Maximum erreichte. Der Status der Rastplätze Kahle Mark und Sommerhof mit nationaler bzw. landesweiter Bedeutung hat sich im Jahr 2020 bestätigt. Die Kahle Mark stellte sich im Spätsommer 2020 als einer der bedeutendsten Rastplätze in ganz Deutschland heraus. Für den Mornellregenpfeifer hatte das Vogelschutzgebiet Hellwegbörde in dieser Zugperiode die landesweit größte Bedeutung. Rastende Vögel zeigten gegenüber Vertikalstrukturen wie Gebäuden Meideverhalten. Rastplätze des Mornellregenpfeifers sollten weiträumig frei von vertikalen Strukturen – u.a. Windenergieanlagen – bleiben, um ihre Funktion zu gewährleisten.
Publikation:
Meinken M, Heim W & Joest R 2024. Rastvorkommen und Habitatwahl des Mornellregenpfeifers Charadrius morinellus im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Jahr 2020. Charadrius 60: 39–49.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
05.03.2024
Neue Saison steht vor der Tür: Mitmachen beim Monitoring häufiger Brutvögel
Meisen, Singdrosseln und viele andere singen bereits. Der Start in die Saison des Monitorings häufiger Brutvögel (MhB) steht unmittelbar bevor. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um Bestandstrends und deren Ursachen besser zu verstehen.
Häufige Brutvögel sind entscheidend für das Ökosytem. Sie machen in der Regel die große Anzahl, aber auch nicht selten die entscheidende Vogel-Biomasse in unseren Lebensräumen aus. Viele von ihnen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten zudem starke Bestandsveränderungen erfahren, einige positiv, andere ehemalige Ubiquisten stehen heute auf der Roten Liste. Das Überwachen der Bestandstrends dieser Vögel ist also von enormer Bedeutung. Bundesweit hat der DDA eine Liste von 99 Vogelarten identifiziert, deren Populationsveränderungen nach Möglichkeit mit dem MhB überwacht werden sollen. Dazu brauchen wir Ihre Mithilfe.
Beim MhB wird die Brutvogelwelt auf 1 km2 großen Probeflächen im Rahmen einer Linienkartierung entlang öffentlicher Wege erfasst. Dazu wird die Fläche pro Jahr viermal in festgelegten Zeiträumen zwischen dem 10. März und 20. Juni erfasst. Die Flächen sind zufällig verteilt. Kürzlich wurde beschlossen, das MhB auch in NRW deutlich auszuweiten. Deshalb wurden nun weitere Flächen für die Bearbeitung bereitgestellt. Auch in Ihrer Nähe gibt es sicherlich freie Untersuchungsgebiete. Voraussetzung, um mitzumachen, ist vor allem die Fähigkeit, die heimischen Vögel sicher an Aussehen und Lautäußerungen zu erkennen und sich in die Methode einzuarbeiten. Dazu gehört insbesondere die Kenntnis der anzuwendenden Brutzeitcodes. Das MhB ist damit die „Königsdisziplin“ unter den Monitoringprogrammen. Gleichzeitig kann die Datenaufnahme und Übertragung bequem über die NaturaList-App (Android) erfolgen. Die Erstellung der Reviere kann zudem mittlerweile weitestgehend automatisiert durchgeführt werden. Die Details zum Programm sind hier zusammengefasst. Freie Untersuchungsgebiete können einfach über eine Mitmachbörse ausgewählt werden.
Bei Interesse oder weiteren Fragen stehen wir gerne zur Verfügung (geschaeftsstelle@nw-ornithologen.de). Wir freuen uns über Ihr Engagement!
04.03.2024
Der Kiebitz im Kreis Warendorf als Beispiel für das Artensterben
Kiebitze zeigen in den letzten Jahren starke Bestandsrückgänge. Das gilt auch für den Kreis Warendorf. Anuschka Tecker, Kristian Lilje und Aline Förster sehen darin ein Beispiel für das Artensterben und fordern systemische Lösungen.
Ihren Beitrag fasst das Team wie folgt zusammen: So wie der Gesamtbestand des Kiebitzes in Nordrhein-Westfalen nimmt auch der Bestand im Kreis Warendorf immer weiter ab. Zuletzt sank er zwischen 2012 und 2022 um 30 % von 700 auf nur noch 490 Revierpaare. Dabei brüten aktuell 95 % der Kiebitzpaare auf Ackerflächen und davon knapp 30 % einzeln auf einer Fläche. Für die Stabilisierung des Bestandes müssten 70 % der Brutpaare auf Äckern einen Bruterfolg von mindestens 0,8 flüggen Küken pro Paar erreichen. Dafür sind im Kreis Warendorf wirksame Schutzmaßnahmen auf über 100 Ackerschlägen nötig. Die Ergebnisse des bundesweiten Projekts “Sympathieträger Kiebitz” zeigen, welche Maßnahmen auf Ackerflächen wirksam sind. Danach reichen sowohl der Gelegeschutz als auch die Anlage von trockenen, selbstbegrünten Ackerbrachen nicht aus. Nur auf selbstbegrünten Ackerbrachen mit erreichbaren Nassstellen wird der notwendige Bruterfolg erreicht. Zusätzlich ist die Anlage von größeren „Hot-Spot-Flächen“ als Optimalhabitate mit ausreichender Feuchtigkeit und Nahrungsverfügbarkeit nötig. Die Wasserverfügbarkeit ist ein zentraler Faktor, der aber in der intensiven Agrarlandschaft auf den meisten Flächen fehlt. Mit der Fortführung der Schutzbemühungen im aktuellen Umfang ist ein weiterer ungebremster Bestandseinbruch absehbar. Der Kiebitz ist nur eine Art, die vom erheblichen Artensterben in der Kulturlandschaft betroffen ist. Einzelne Artenschutzmaßnahmen können dieses Phänomen nicht ausreichend abmildern, weil sie nicht an den Ursachen ansetzen. Die systemischen Ursachen erfordern systemische Lösungen: eine umfassende sozial-ökologische Agrarwende hin zu einer extensiveren, kreislauforientierten, biologischen Produktion von überwiegend pflanzlichen Nahrungsmitteln und zu einer flächigen Renaturierung von geschädigten Ökosystemen.
Publikation:
Tecker A, Lilje K & Förster A 2024. Der Kiebitz Vanellus vanellus im Kreis Warendorf als Beispiel für das Artensterben – Systemische Lösungen müssen her. Charadrius 60: 31–38.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
28.02.2024
Vogelarten der Binnengewässer erfassen
Seit einigen Jahren gibt es ein neu strukturiertes Monitoring seltener Brutvögel, das bundesweit vom DDA koordiniert wird und das wir in vielen Teilen auch in NRW umsetzen. Schon seit einiger Zeit gibt es die Module für Arten der Binnengewässer und der Röhrichte. Diese möchten wir auch in NRW verstärkt voranbringen. Wer Lust hat, mitzumachen, ist herzlich eingeladen, brütende Wasservögel zu kartieren.
Brutvögel der Binnengewässer sind aufgrund der punktuellen oder linearen Verteilung geeigneter Lebensraumelemente bei uns nicht flächendeckend verbreitet. Trends der Brutbestände sind daher vielfach nicht gut über Monitoringprogramme häufiger Brutvögel mit ihren zufälligen Untersuchungsgebieten zu bestimmen. Die Erfassung der Brutvögel der Binnengewässer soll deshalb über die möglichst vollständige (flächendeckende) Erfassung gezielt ausgewählter Zählgebiete erfolgen. Mögliche Flächen sind Binnengewässer aller Art oder deren Teilbereiche. Dazu zählen z.B. Teiche, Seen inklusive Abgrabungsgewässer, Kläranlagen, Rieselfelder oder Fließgewässer wie Bäche, größere Gräben, Flüsse bzw. deren Teilbereiche inklusive der Auengewässer. In NRW haben wir zudem zahlreiche Parkgewässer. Vielfach bieten sich Untersuchungsgebiete an, die auch bereits im Rahmen der Wasservogelzählung erfasst werden.
Mit dem Binnengewässermodul werden maximal 39 Vogelarten erfasst. Zielarten sind insbesondere typische Wasservogelarten wie Lappentaucher, Schwäne, Gänse, Enten, Rallen sowie typische Fließgewässerarten. Darüber hinaus umfasst das Artenset einige weitere Arten, die regelmäßig bei Erfassungen in Feuchtgebieten angetroffen werden. Optional existiert eine erweiterte Artenliste mit Röhrichtbrütern, die zusätzlich erfasst werden können, sofern der Lebensraum geeignet ist. Aufgrund der hohen Zahl an bearbeiteten Arten kommt diesem Monitoring-Modul eine hohe Bedeutung zur Erfassung bundesweiter Bestandstrends zu. Es gibt auch ein eigenes Modul für reine Schilfbestände – beim Modul für Röhrichtbrüter erfolgt die Erfassung der Vögel entlang eines Transektes und nicht flächig. In NRW existiert aber wahrscheinlich nur eine begrenzte Zahl an geeigneten Röhrichtflächen.
Die Module sind in anspruchsvollen Gebieten vermutlich kein reines Einsteigerprogramm. Andererseits reicht es aus, die zu untersuchenden Arten sicher an Aussehen und Stimme zu erkennen. Bei großen Gewässern ist sicher ein Spektiv hilfreich, an Parkgewässern u.ä. reicht meist ein Fernglas. Der Kartierungszeitraum reicht von April bis Juni und umfasst drei Begehungen. Zusätzliche Nachtbegehungen für Rallen und Schwirle in geeigneten Lebensräumen sind optional. An Mittelgebirgsbächen können dagegen sogar zwei Begehungen ausreichen, da hier meist nur wenige Arten erfasst werden (Eisvogel, Gebirgsstelze, Wasseramsel) – an artenärmeren Gewässern eignet sich das Modul also auch als idealer Einstieg in das Monitoring seltener Brutvögel. Das Modul ist zudem eine ideale Ergänzung zur Wasservogelzählung, da die Erfassungszeiträume nur wenig überlappen. Bitte beachten Sie, dass wie bei allen Programmen in Schutzgebieten entsprechende Verordnungen (kein Verlassen der Wege etc.) eingehalten werden müssen. Darüber hinaus ist es aber natürlich auch immer sinnvoll, sich mit lokalen Schutzgebietsbetreuern (oft Biologische Stationen) abzusprechen. Die Datenerfassung im Feld erfolgt bequem über eine spezielle Eingabemaske in der NaturaList-App oder daheim über ornitho.de. Eine ausführliche Einführung in das Modul und Links zum wichtigen Merkblatt, der Mitmachbörse (weitere Gebiete richten wir gerne ein) und allen Anleitungen finden sich gebündelt hier.
Bei Interesse oder Fragen helfen wir gerne (geschaeftsstelle@nw-ornithologen.de). Wir freuen uns über Ihr Engagement!
26.02.2024
Erhaltungssituation und Schutzgebietsmanagement für Wiesenvögel in NRW – Bilanz und Perspektiven
Wiesenvögel gehören zu den bedrohtesten Vogelgruppen in unserem Bundesland. Umso wichtiger ist es, ihren Status zu dokumentieren und Perspektiven für ihren Schutz aufzuzeigen. Michael Jöbges und sein Team aus der AG Wiesenvögel berichten ausführlich im aktuellen Charadrius.
Die AG Wiesenvögel fasst die Veröffentlichung folgendermaßen zusammen: Die Brutbestandsentwicklung sechs ausgewählter Wiesenvogelarten (Großer Brachvogel, Uferschnepfe, Rotschenkel, Bekassine, Kiebitz und Braunkehlchen) seit 1975 in Nordrhein-Westfalen zeigt insgesamt einen negativen Trend. Bei vier dieser Arten (Uferschnepfe, Bekassine, Kiebitz und Braunkehlchen) liegt diese Abnahme über dem europaweiten Langzeittrend. Zwei Arten (Rotschenkel und Großer Brachvogel) weisen eine Abnahme auf, die niedriger liegt als der europaweite Langzeittrend. Seit den 1980er Jahren wurden in Nordrhein-Westfalen Artenschutzprogramme für diese Arten entwickelt und umgesetzt. Das Feuchtwiesenschutzprogramm ist seit damals tragende Säule dieser Schutzbemühungen. Vor allem die Umsetzung eines an die Ansprüche der Wiesenvögel angepassten Wassermanagements scheitert aber bis heute immer wieder an den Eigentumsverhältnisse. Bei der angepassten Bewirtschaftung derartiger Flächen helfen die Fördermöglichkeiten im Vertragsnaturschutz, stoßen aber aufgrund der Freiwilligkeit in vielen Fällen an ihre Grenzen. Durch die heimischen und neu ankommenden Beutegreifer verstärken sich diese negativen Einflüsse. Neben dem Lebensraumverlust kommt es daher auch in gut gemanagten Gebieten zur Abnahme der Reproduktionsraten. Seit wenigen Jahren wird dieser Entwicklung mit einer Einzäunung von Brutgebieten und in vielen Gebieten einem aktiven Prädatorenmanagement begegnet. Der Arbeitsaufwand lohnt sich, die Reproduktionsrate konnte in diesen Gebieten gesteigert werden. Für einen erfolgreichen Wiesenvogelschutz sind neben den abgeschlossenen und laufenden LIFE-Projekten weitere Maßnahmen erforderlich. Auf der Grundlage der EU-Biodiversitätsstrategie wurde in NRW bereits 2015 eine NRW-Biodiversitätsstrategie erarbeitet. Deren Zielsetzung für 2025 steht aufgrund der benannten Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Schutzprogramme in Frage. Der Grünlandschutz für Wiesenvögel lässt sich effektiv mit dem Klimaschutz verbinden. Die CO2-Speicherung in den Böden und die Verbesserung des Wasserhaushalts tragen positiv zu beiden Zielen bei. Nordrhein-Westfalen sollte sich nicht mit erreichten Zwischenständen zufriedengeben. Der Status quo bei den vier Wiesenvogelarten mit den stärksten Abnahmen sichert noch nicht deren langfristiges Überleben. Auch die beiden anderen Arten profitieren von einer aus Naturschutzsicht notwendigen Offensive zur Umsetzung von Artenschutzmaßnahmen in den bereits unter Schutz gestellten Lebensräumen der Wiesenvogelarten. Ziel muss es sein, die Wiesenvogelbestände auf ein Niveau anzuheben, das ein langfristiges Überleben sichert.
Publikation:
Jöbges M, Beckers B, Brüning I, Frede M, Graf M, Härting C, Herkenrath P, Ikemeyer D, Klostermann S, Sudmann SR, Tecker A & Tüllinghoff R 2024. Erhaltungssituation und Schutzgebietsmanagement für Wiesenvögel – Bilanz und Perspektiven. Charadrius 60: 3–29.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
21.04.2024
Seltene Brutvögel in NRW 2015–2020
Während manche Vogelarten in großer Zahl in Nordrhein-Westfalen brüten, sind andere ausgesprochen selten oder kommen als Koloniebrüter nur an wenigen Stellen vor. Für den Natur- und Artenschutz sind diese Vögel oft von herausragendem Interesse, für viele Vogelbeobachtende ist die Beobachtung dieser Arten zudem besonders reizvoll.
Michael Jöbges (LANUV) und Stefan Sudmann (NWO) haben parallel zur Veröffentlichung der Roten Liste der Brutvögel in NRW die verfügbaren Daten über die Bestände dieser seltenen Brutvögel zusammengetragen und die Ergebnisse im Charadrius veröffentlicht. Sie fassen ihre Ergebnisse so zusammen: Das Monitoring seltener Brutvögel in Nordrhein-Westfalen widmet sich den Vogelarten, die nach der „Roten Liste der gefährdeten Brutvogelarten in Nordrhein-Westfalen“ als selten, sehr selten bzw. extrem selten klassifiziert sind. Behandelt werden in diesem Bericht nur Brutvogelarten, deren Landesbestand unter 500 Brutpaare bzw. Reviere betrug. Traditionell werden zusätzlich auch die Koloniebrüter mit einbezogen, deren Bestand diesen Schwellenwert überschreitet. Insgesamt wurden damit 78 Vogelarten berücksichtigt. Bundesweit bedeutsam sind die Vorkommen von Uhu und Wanderfalke in Nordrhein-Westfalen. Im Berichtszeitraum 2015 bis 2020 wurden Schellente, Seeadler, Zwergsäger, Steppenmöwe, Brillengrasmücke, Löffler und Seidensänger als neue Brutvogelarten für Nordrhein-Westfalen dokumentiert. Erfreulicherweise konnten nach einer langen Phase der Abwesenheit Wiedehopf, Rohrdommel und Ringdrossel wieder als Brutvögel nachgewiesen werden. Dagegen stehen Westliches Haselhuhn, Beutelmeise und Tüpfelsumpfhuhn unmittelbar vor ihrem Aussterben in Nordrhein-Westfalen.
Publikation:
Jöbges M & Sudmann R 2021 (2023). Monitoring seltener Brutvögel und Koloniebrüter 2015–2020 in Nordrhein-Westfalen. Charadrius 57: 165–184.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
19.02.2024
Neuer Charadrius erscheint in neuem Design
Das aktuelle erste Charadrius-Heft des Jahrgangs 2024 (Band 60, Heft 1) ist soeben erschienen. Es enthält vier längere und einen kürzeren Artikel. Außerdem sind die aktuellen NWO-Mitteilungen (Nr. 58) enthalten. Das Heft sollte in den nächsten Tagen bei unseren Mitgliedern ankommen.
Der Charadrius hat dabei ein ausführliches „Face-Lifting“ bekommen. Das Format ist größer als bisher, der Unterschied im Cover ist sofort ersichtlic,h aber auch im Heft erscheinen die einzelnen Artikel in einem überarbeiteten Layout. Das letzte größere Neudesign lag schon mehr als 25 Jahre zurück und es wurde Zeit, einigen Neuerungen Rechnung zu tragen. Letztlich ging es vielfach auch darum, Fotos besser zur Geltung kommen zu lassen. Mehr dazu im Editorial.
Inhaltlich beginnt der Charadrius mit einem ausführlichen Artikel zur Erhaltungssituation und zum Schutzgebietsmanagement für Wiesenvögel in Nordrhein-Westfalen. Das Autorenteam um Michael Jöbges kommt aus der gemeinsamen AG Wiesenvögel von LANUV, Biostationen und NWO. Das Team zieht Bilanz und nennt Perspektiven. Auch im zweiten Artikel bleibt es bei einem typischen Wiesen-, Weide- und Feldvogel. Der Kiebitz im Kreis Warendorf ist leider ein prominentes Beispiel für das global und auch vor unserer Haustür zu beobachtende Artensterben. Anuschka Tecker et al. fordern für den Kiebitz systemische Lösungen. Auch im dritten Beitrag geht es um Limikolen. Moritz Meinken et al. analysieren Rastvorkommen und Habitatwahl des Mornellregenpfeifers im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Jahr 2020. Über die Nutzung von Borkenkäferflächen im Nationalpark Eifel durch Baumpieper berichten danach Henrike Raabe et al. In einem Kurzbeitrag dokumentieren Stiels et al. abschließend die Beobachtung einer Zwergammer am Drachenfels.
Am Ende des Heftes finden sich Literaturbesprechungen mehrerer vogelkundlicher Bücher. Der aktuelle Charadrius enthält außerdem die NWO-Mitteilungen 58 mit vielen Rubriken, aktuellen Nachrichten und ausführlichen Berichten aus dem Verein, Arbeitsgruppen, Monitoring und Neuigkeiten aus der Vogelschutzwarte. Auch die Einladung zur Mitgliederversammlung und Jahrestagung ist enthalten. Die aktuellen NWO-Mitteilungen genauso wie ältere Ausgaben sind wie gewohnt auch hier frei als pdf-Datei verfügbar.
Der Charadrius ist für Mitglieder kostenlos, kann aber auch zum Preis von 18,00 € pro Heft bei der Geschäftsstelle bezogen werden.
14.02.2024
Rote Liste verdeutlicht Naturkrise: Mehr als die Hälfte der Brutvogelarten in NRW ist bedroht
Die Situation der Vögel in Nordrhein-Westfalen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Das zeigt die neue Rote Liste der Brutvögel unseres Bundeslandes, die jetzt von der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft e.V. (NWO) gemeinsam mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) herausgegeben worden ist. Hauptgefährdungsursachen sind menschliche Eingriffe, vor allem die intensive Landnutzung. Vögel landwirtschaftlich genutzter Flächen sind besonders bedroht, aber auch in anderen Lebensräumen ist die Situation besorgniserregend. Natur- und Artenschutzmaßnahmen müssen deutlich ausgebaut und intensiviert werden, um eine Trendumkehr zu erreichen und einen weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu verhindern.
In Nordrhein-Westfalen leben 190 heimische Brutvogelarten. Von diesen befinden sich 100 Arten (53 %) in einer Gefährdungskategorie der Roten Liste, 24 davon sind bereits ausgestorben und 23 sind vom Aussterben bedroht. Das sind netto sieben gefährdete Arten mehr als bei der letzten Roten Liste von 2016. Insgesamt wurden zwölf Arten in eine höhere Gefährdungskategorie eingestuft, neun wurden herabgestuft und vier wurden neu bewertet.
Welche Vögel sind gefährdet?
Gefährdet sind vor allem Vögel des Offenlandes, d.h. Vogelarten landwirtschaftlicher Flächen und Vögel sogenannter Sonderstandorte wie Heiden und Moore. Auf der Roten Liste finden sich Feldvögel wie Rebhuhn („stark gefährdet“), Wiesenweihe („vom Aussterben bedroht“), Feldlerche („gefährdet“) und Feldsperling („gefährdet“). Auch der Vogel des Jahres 2024, der Kiebitz, weist starke Bestandsrückgänge auf und gilt deshalb als „stark gefährdet“. Besonders kritisch ist die Situation bei Vögeln feuchter Wiesen, Weiden und Moore: Bekassine, Uferschnepfe, Braunkehlchen und andere sind vom Aussterben bedroht. Anhaltend besorgniserregend ist die Situation bei Vögeln der Seen und Flüsse. Schilfbewohner wie Wasserralle („stark gefährdet“) oder Blaukehlchen („gefährdet“) zeugen davon. Etwas besser sieht es bei einigen Arten des Siedlungsraumes aus, wobei es auch hier negative Entwicklungen gibt, z.B. bei Vögeln, die an Gebäuden brüten wie den Insekten jagenden Schwalben. Die Vogelarten der Wälder zeigen Zu- und Abnahmen. Das Haselhuhn, eine Art der Urwälder oder historisch genutzten Niederwälder, steht akut vor dem Aussterben. Und weil es andernorts ähnlich aussieht, wird die lokale Unterart, das Westliche oder Rheinische Haselhuhn, wohl auch global aussterben. Langfristig positive Entwicklungen gab es dagegen bei einigen Großvögeln – bekannte Vogelarten wie Kranich, Weißstorch, Uhu und Wanderfalke gelten bereits seit einigen Jahren wieder als ungefährdet. Nach jüngsten Bestandszunahmen konnte auch der Haussperling aus der Roten Liste entlassen werden, auch wenn die Population sehr viel niedriger ist als noch vor wenigen Jahrzehnten.
„Auffällig ist, dass die Situation vor allem bei ehemaligen sogenannten „Allerweltsarten“ bedrohlich ist. Diese haben jedoch oft eine besonders wichtige Rolle in Ökosystemen. Positive Entwicklungen sehen wir fast nur noch bei einigen Generalisten, die sich in einer stark von intensiver menschlicher Nutzung überformten Landschaft zurechtfinden“, so einer der Autoren, Michael Schmitz von der NWO.
Woran liegt es?
Die Ursachen für die negativen Bestandsentwicklungen sind fast ausnahmslos seit Langem bekannt und dokumentiert: An erster Stelle steht der Verlust natürlicher bzw. naturnaher Lebensräume durch einen fortschreitenden Landnutzungswandel. Eine wichtige Rolle spielt die intensive Landwirtschaft mit dem Verlust von Rückzugsgebieten wie Brachflächen und dem intensiven Einsatz von Bioziden und Kunstdüngern, der Verlust der Nahrung (Insekten u.a. Wirbellose), bauliche Maßnahmen und Infrastruktur z.B. im Rahmen der Energiewende, Störungen durch Freizeitnutzung, direkte Verfolgung im Brut-, Durchzugs- und Überwinterungsgebiet und Prädation (z.B. durch invasive Arten).
Erstmals macht sich auch der Klimawandel mehr als deutlich in der Roten Liste bemerkbar. Für zehn Arten mussten im Zuge wiederkehrender Dürren sogenannte Risikofaktoren vergeben werden. Ihre Lebensräume trocknen aus und feuchtere Phasen bringen nur kurzfristige Besserung.
„Klimakrise und Artenkrise sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Notwendige Transformationsprozesse im Energie-, Mobilitäts- und Agrarbereich bieten die Möglichkeit, beide Krisen gleichzeitig anzugehen, Natur- und Vogelschutz darf aber nicht auf der Strecke bleiben“, so Klaus Nottmeyer, Vorsitzender der NWO und Mitautor der Roten Liste.
Was muss getan werden?
Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Oliver Krischer, schreibt in seinem Vorwort: „Rote Listen zeigen faktenreich und basierend auf jahrzehntelanger Analyse auf, dass wir unseren Einsatz für Natur- und Artenschutz deutlich erhöhen müssen und bei allen Nutzungen unserer Landschaft mitdenken müssen.“ Die konkreten Handlungserfordernisse und ihre Wirksamkeit sind eingehend erforscht. Maßnahmen sind sowohl in Schutzgebieten als auch außerhalb in der sogenannten Normallandschaft erforderlich. In der Landwirtschaft benötigen wir eine Reduktion von Düngemitteln und Bioziden, bestehende Agrarumweltmaßnahmen im Bereich des Vertragsnaturschutzes müssen ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Brachen in der Landschaft. Im Wald können Wildnisgebiete, aber auch Programme zur Förderung wichtiger Lebensraumstrukturen (z.B. Altholzinseln) helfen. Gewässer müssen großräumig renaturiert werden – lebendige Auen, Kleingewässer und Röhrichte sind nicht nur Hochwasserschutz und Klimaanpassungsmaßnahme, sondern auch essentiell für den Erhalt der Artenvielfalt. Im Siedlungsraum ist der Erhalt und die Neuschaffung von Brutplätzen und Lebensraumstrukturen, z.B. bei der energetischen Gebäudesanierung, entscheidend. Bei der Planung von Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien ist eine besondere Berücksichtigung des Artenschutzes unabdingbar. Naturschutzgebiete und das NATURA-2000-Netzwerk müssen frei von Anlagen bleiben.
Einige dieser Maßnahmen werden in Teilen bereits umgesetzt. So gelang es immerhin, das einst häufige Braunkehlchen vorerst vor dem Aussterben zu bewahren und den Lebensraum des kleinen Restbestandes zu sichern. Geplante Maßnahmen für Feuchtwiesenarten können zumindest lokal positive Auswirkungen auf gefährdete Enten und Watvögel haben. Beschlossene und rechtlich gebotene Maßnahmen in den Schutzgebieten müssen aber endlich konsequent umgesetzt werden. Zudem muss die Schutzgebietskulisse vor dem Hintergrund des Ziels der EU, 30 % der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen, auch in NRW deutlich erweitert werden.
„Die bisherigen Erfolge im Vogelschutz in NRW zeigen, dass eine Trendwende durchaus möglich ist, wenn die in der Roten Liste genannten Handlungserfordernisse befolgt werden“, so Stefan Sudmann von der NWO.
Die Rote Liste der Brutvögel fußt maßgeblich auf großem behördlichem und ehrenamtlichem Engagement. Um auch zukünftig den Zustand der Vogelwelt fachkundig beurteilen zu können, ist nicht zuletzt auch ein weiterer Ausbau des Vogelmonitorings in NRW notwendig.
Originalveröffentlichung
Sudmann, S.R., Schmitz, M., Grüneberg, C., Herkenrath, P., Jöbges, M.M., Mika, T., Nottmeyer, K., Schidelko, K., Schubert, W. & Stiels, D. 2023. Rote Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 7. Fassung, Stand: Dezember 2021. Chararius 57: 75–130.
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Sudmann et al 2023 Rote Liste Brutvögel NRW 2021
Pressemitteilung der NWO zur neuen Roten Liste